Brief an einen Freund, 2.
Kann mir jemand in dieser Runde verraten, weshalb der Mensch an einem geradezu perfiden Konstruktionsfehler leidet, der dazu führt, ihn von seiner intelligentesten und gleichzeitig auch dümmsten Seite glänzen zu lassen? Ungeachtet der Tatsache, dass der Neubraunschweigsche Wind dem Dache über meinem Kopf das Fliegen zu lehren versucht und mich somit, vermutlich, aus meinem wohlverdienten Schlaf riss, ist es zugleich auch mein wertes Hirn, das mir zum wiederholten Male – die alte Leier – die Vorteile zu verdeutlichen versucht, die eine solche nächtliche kognitive Expedition mit sich zu bringen vermag, zu der wir vor geraumer Zeit aufgebrochen sind. Um ehrlich zu sein, muss dieses Unterfangen mittlerweile eine latente Frustration in ihm auslösen, kann ich doch nach etlichen – und ich meine etliche, sinnlose, lange – Versuchen, mich mit allen Mitteln zu überzeugen, noch immer nicht nachvollziehen, warum man es gerade zu dieser Zeit für eine besonders geeignete Situation für Expeditionen in endlose, sinnlos aneinandergereihte, apokalyptische, misanthropisch angehauchte und von Zynismus durchfressene Gedanken erachtet.
Nein, wer es nach zwanzig Jahren des ständig wiederkehrenden darauf-aufmerksam-gemacht-werdens noch immer nicht begriffen hat, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Es ist also die Antwort auf diesen in Selbstmitleid badenden Erguss eine recht einfache: Dem Menschen wurde gerade genug Zeit gegeben, seine kognitiven Fähigkeiten dazu zu nutzen, seiner Wissbegierde, Neugierde, seinem Taten- und Schaffensdrang freien Lauf zu lassen und damit die Menschheit, auf einer vor allem technischen und medizinischen Ebene, auf ein Niveau zu katapultieren, ob dessen Entstehungsgeschwindigkeit (einer) der Schöpfer vermutlich seinen soeben erst genüsslich genommenen Schluck Latte Macchiato erschrocken über der Erdkugel wieder ausgespuckt hat, wobei – die vielen Punkte am Himmel betrachtet – sein gießkannenartiger Erguss eine weitaus großflächigere Reichweite zu haben schien, das einen Normalsterblichen ins bloße Staunen versetzt, und – und das ist der moralisch fragwürdigere Teil – auf der anderen Seite gerade so viel Zeit, um sich persönlich derart rückschrittlich und unterentwickelt zu präsentieren, dass es einen ins bloße Kopfschütteln versetzt, ob der offensichtlichen Unfähigkeit des Menschen Menschheit, seine dümmsten und absurdesten Fehler nicht ständig wiederholen zu müssen. Vielen Dank auch dafür.
Meine Vermutung ist, dass – sollte sich die Theorie der vielen verschiedenen bärtigen, grauhaarigen Männer, im Kreise um einen Tisch sitzend, mit Tee, Kaffee und Kuchen, eines Tages bewahrheiten – sich die Herren der Schöpfung ein wenig Unterhaltung wünschten und dem Menschen quasi eine slapstick-Funktion einbauten. Oder aber, sie sind auf unergründliche (oder gar allzu menschliche, der Apfel fällt ja bekanntlich nicht weit vom Stamm?) Art und Weise recht neidisch auf die Schönheit der Mutter Erde, ihrer eigenen (man beachte: vorbildlich im Team entstandenen) Kreation, sodass sie ihr einen Störenfried in menschlicher Gestalt verpassten, den sie aber, ganz ihrem reichlich gesegneten Dasein entsprechend, innerhalb kürzester Zeit souverän wieder abschütteln wird. Wie ein Staubkorn vom Revers geschnippt.
(November 2018)