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ZWISCHENBERICHT 10./11.11.

Bis auf das regelmäßige, leise vor-sich-hin-Schnarchen eines Gastes ist es ruhig geworden im Nou. Der Abend fing Dank der tatkräftigen Unterstützung von Jutta, Kai und Natalia sehr entspannt an. Bis nach elf war nicht klar, ob, wann und wie viele Gäste heute kommen würden. Bis halb eins füllte es sich dann aber doch noch, und zum Schluss sind es sogar insgesamt 30 Menschen geworden, die heute bei uns übernachten. Es sind wieder viele Kinder dabei, hauptsächlich Familien. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, ist sogar nur ein einzeln Reisender, Mohammed, dabei. Er hat sehr viel von sich erzählt und uns viele Bilder gezeigt, was er so alles macht. Musik, Malerei, Kalligrafie, Dichtkunst, spricht vier Sprachen und studiert hat er auch. Wir saßen bis jetzt zusammen und haben geplaudert – einfach toll. Es war ein besonderer Moment, als er ankam. Er betrat das Zimmer und ging geradewegs auf das Klavier zu. Dann spielte er erst einmal versunken ein paar Minuten. Es war wundervoll. Danach spielte er auch noch auf seiner Flöte. Und David saß eine Weile mit einem kleinen Jungen aus Syrien am Klavier, stimmte Bach an und Mohammed und ich sangen und pfiffen das “Ave Maria” dazu. Herrlich!

Es wurde auch fleißig gegessen. Wir hatten alle Hände voll zu tun, das Essen aufzufüllen, nebenher die ankommenden Gäste zu begrüßen, alle Wünsche zu erfüllen und noch die fehlenden Betten aufzubauen. Letzteres war ein wenig kompliziert, da die Dusche gut und gern genutzt wurde und somit der Zugang zu den restlichen Betten lange versperrt war, aber es hat dann trotzdem noch geklappt, alles rechtzeitig aufgebaut zu haben. Es ist mal wieder eine große Freude und Bereicherung, all diese Menschen kennenzulernen und ihre Geschichten zu hören, die strahlenden Gesichter der Kinder zu sehen, die Eltern, die wider aller schrecklichen Umstände fröhlich sind und ihren Familien Kraft und Halt geben. Ein taubstummer Mann hat mich besonders beeindruckt. Als die Tür aufging und er hereintrat, ging die Sonne auf. Er begrüßte uns mit einem großen Lächeln und herzlichem Händedruck und strahlte eine Wärme aus, dass man ihm nur mit einem mindestens genauso großen Lächeln entgegentreten konnte und ihn sofort ins Herz schließen musste. Er ist hier mit seiner elf-köpfigen Familie im zweiten Zimmer untergebracht.

So sieht es im Moment bei uns aus! Ich bin froh und dankbar, dass all das möglich ist.

From somewhere in Berlin, we are the Voice of Peace.

“ABSCHLUSS”-BERICHT ZUR NACHT VOM 10.11.

Meine Lieben, ich weiß gar nicht, was ich noch schreiben soll. Der Weg zurück zum LaGeSo hat etwas länger gedauert als geplant, wir sind dann aber doch noch alle zusammen gut angekommen. Als wir dort ankamen, waren wir erst einmal etwas ratlos, wie denn nun das weitere Prozedere für die Familien ist. Nachdem es mir einer der Securities erklärt hatte, war das dann aber auch klar. Es sind zwei Zelte aufgebaut, von denen eines ziemlich voll war und das andere menschenleer. Die zwei von der Security haben mir auch nur achselzuckend erklärt, dass das eben so geregelt sei, dass sie alle gesammelt in dem einen Zelt auf die Registrierung warten müssen, vielleicht acht Stunden, vielleicht zehn Stunden.

Es ist heute ein kalter und regnerischer Tag, es sind unheimlich viele Kinder unter den Wartenden – ihr könnt euch die Situation vorstellen. Zum Abschied hat mich eine Frau aus der elf-köpfigen Familie noch umarmt und sich sogar bei mir entschuldigt, dass sie am Abend vorher ihre Koffer im Weg hat stehen lassen. Sie hatten sehr viel Gepäck und ich bat sie, die Koffer gesammelt in eine Ecke zu stellen, damit der Weg zum Buffet frei bleibt. Ich habe mich in diesem Augenblick so geschämt, dass sie sich bei MIR entschuldigt, wo ich mich doch bei IHR entschuldigen möchte, dass ich nicht noch viel mehr für sie tun kann. Als dann auch noch Mohammed vor mir stand und mich mit seinen lieben Augen voller Dankbarkeit anschaute, wir darüber sprachen, dass ich ihm Klavierspielen beibringen soll und er mir Kalligrafie und anderes viel beibringen kann und möchte, konnte ich nicht mehr an mich halten. Es brach mir das Herz, die Familien, die Kinder, jetzt einfach im wahrsten Sinne des Wortes im Regen stehen lassen zu müssen und ich brach gemeinsam mit Mohammed in Tränen aus. Er zog sich die Mütze tief über sein Gesicht, um nicht auch noch, wie ich, in aller Öffentlichkeit tränenüberströmt dazustehen. Es brach mir das Herz, zu sehen, wie sich die Miene auf den Gesichtern veränderte. Der kleine, fröhliche Junge aus Syrien saß mit seiner Familie zusammengekauert auf dem kalten Steinboden und konnte nur mit Mühe ein zartes Lächeln zum Abschied hervorbringen. Nur wenige Stunden zuvor hatten wir im Nou noch rumgealbert, zusammen Betten bezogen und Fotos gemacht. Alle Fröhlichkeit war verflogen. Es war ein trauriger Abschied. Aber es bleibt auch ein kleiner Hoffnungsschimmer übrig: Dass wir für einen Abend den Menschen Wärme, Liebe, vielleicht ein bisschen Mut und sogar Fröhlichkeit in all den dunklen Stunden schenken konnten.

Mohammed – der übrigens mit seiner Familie unterwegs ist, was gestern offensichtlich nicht bei mir ankam, da sie schon sehr bald schlafen gegangen waren – sagte immer und immer wieder: “Thank you for your humanity.” und verdrückte noch ein paar Tränen. Wir konnten uns nicht verabschieden und haben nur “see you soon” gesagt. Danke an euch alle, die ihr da seid und so Großes leistet. Ihr seid wunderbar.